Für eine Handvoll Hirnzellen
Zu meinem letzten Geburtstag bekam ich den Italowestern «The Good, The Bad And The Ugly» auf DVD geschenkt. Darin liefern sich drei Outlaws, ikonenhaft betitelt als «The Good», «The Bad» und «The Ugly», ein Wettrennen um einen Goldschatz, der auf einem Friedhof vergraben liegt. Ich finde diesen Film grossartig. Aber was an ihm ist es, das meinen Geist dermassen beflügelt, meine Seele so sehr in Erregung versetzt und mir von Kopf bis Fuss Gänsehaut verpasst? Ist es die brillante und ästhetische Kameraarbeit? Oder vielleicht der unverwechselbare und stimmige Soundtrack? Oder liegt es einfach daran, dass mich jede einzelne der 177 Minuten mitreisst? Vor ein grosses Rätsel fühlte mein Gemüt sich gestellt.
Und plötzlich stellte sich vor mein geistiges Auge der tiefere Sinn des Films, und seine verborgene Wahrheit wurde mir in hellstem Lichte offenbar: in nur schwer zu übertreffender Weise ist «The Good, The Bad And The Ugly» Mythos für die gegenwärtige Menschheit. Wahrlich, als Ausdruck unseres Zeitalters ist die Symbolik des Films so treffend, dass wir sie nicht mehr symbolisch, sondern wieder wortwörtlich nehmen können. Das beginnt schon beim Filmtitel, der im italienischen Original «The Good, The Ugly And The Bad» lautet und ein Hinweis ist auf die Beschaffenheit des menschlichen Wesens und dessen komplexes Selbstbewusstsein: stets schaukelt es hin und her innerhalb der unauflösbaren Spannung von Gut und Böse, von Ambivalenz durchzogen sind alle Gedanken, Gefühle und Taten, und unvermeidlich äussert sich hierin das Hässliche unserer Immoralität. Das ist der Antiheld, der die gegenwärtige Menschheit repräsentiert.
«The Good», «The Bad» und «The Ugly» – als drei Aspekte des menschlichen Wesens müssen wir sie uns denken. Auf hervorragende Weise sind sie im Film personifiziert und werden illustriert anhand der übelsten aller Auswirkungen unserer Immoralität: des Krieges. Da sehen wir «The Bad», der daran teilnimmt und ihn ohne jede Rücksicht für seine Zwecke benutzt. «The Ugly» hingegen interessiert sich nicht für den Krieg, obschon ihm nichts anderes übrig bleibt als darin involviert zu sein, wenn er sein Ziel erreichen will. «The Good» geht da nicht unähnlich vor, auch wenn ihn die Erfahrung des Krieges nicht völlig kalt lässt – im Gegensatz zu «The Ugly» entwickelt er eine Prise Menschlichkeit. So geht jeder der drei Outlaws seinen eigenen, unrühmlichen Weg. Aber ihre Wege kreuzen sich immer wieder, und immer wieder durchkreuzen sie ihre Wege. Zum Schluss landen sie alle am gleichen Ort, auf dem Friedhof beim Goldschatz, dem sie – jeder auf seine Art – in Selbstbezogenheit nachjagten. Denn als letztes Ziel kennen wir nichts anderes als die persönliche Bereicherung. Das ist der Mensch der Gegenwart: egal, welchen Pfad er betritt, er ist und bleibt ein Antiheld.
Seid guten Mutes! Nicht umsonst gehört Hoffnung zu den drei christlichen Tugenden. Und geradezu töricht ist die Behauptung, der Mensch bliebe ein Antiheld bis in alle Ewigkeit. Noch lange nicht ist die Entwicklung der Menschheit abgeschlossen. Und in nicht allzu ferner Zukunft finden wir im wahrsten Sinne des Wortes zu uns selbst und beenden den omnipräsenten Kampf ums Dasein. Dann haben wir alle Ambivalenz und Immoralität überwunden, und jede Idee von persönlicher Bereicherung macht Platz für eine neuartige Form der Geschwisterliebe, die nun selbstverständliches Naturell des menschlichen Wesens geworden ist. Das ist der Zeitpunkt, an dem wir uns «The Good, The Bad And The Ugly» nochmals anschauen und uns amüsiert eingestehen: «So dachten, fühlten und handelten wir damals».