Für wen lässt sich Gott beweisen?
„Gott lässt sich nicht beweisen!“ In meinem Theologiestudium ist mir kaum ein Satz begegnet, der breitere Zustimmung erhalten hätte als dieser. Über fast alles habe ich mit meinen Mitstudierenden in den letzten fünf Jahren in Seminaren, während Tagungen und in Kaffeepausen diskutiert: den freien Willen, das Abendmahl, die Bedeutung des Wortes Auferstehung, die biblische Sexualethik, darüber, ob es nun der Theologie oder der Religionswissenschaft an wissenschaftlicher Redlichkeit fehle, usw. Ich kann mich jedoch an keine einzige Diskussion erinnern, in der jemand ernsthaft die Meinung zu vertreten versuchte, er könne Gott beweisen. Es scheint also so, als stehe das sonst doch ziemlich uneinige Volk der Theologinnen und Theologen hinter diesem Punkt geschlossen: Gott lässt sich nicht beweisen. Wer das bezweifelt, beweist vor allem eins: dass er nicht verstanden hat, worum es bei Gott überhaupt geht!
Bestärkt durch diesen quasi apostolischen Konsens, schien es mir, dass auch ich aus guten Gründen von der Unbeweisbarkeit Gottes überzeugt war. So schien es mir, bis ich im letzten Semester die Bekanntschaft mit einem lebensechten Gottesbeweis machte. Das klingt spektakulärer, als es diese Begegnung im ersten Moment war. Ich besuchte, sozusagen als Weiterbildung nach abgeschlossenem Theologiestudium, das Grundlagenmodul „Einführung in die formale Logik I“ an der Philosophischen Fakultät. Dort begegnete er mir auf einem Arbeitsblatt, als Teil der wöchentlichen Hausaufgaben, in denen ich eine Reihe von Schlüssen auf ihre Gültigkeit zu überprüfen hatte. Als ich den Gottesbeweis unter all den anderen Schlüssen entdeckte, nahm ich natürlich sofort an, dass es sich dabei um einen Fehlschluss handeln müsse. Die Konklusion „also existiert Gott“ schien mir dafür auszureichen. Nachdem ich jedoch mehrmals erfolglos die Ungültigkeit dieses mutmasslichen Gottesbeweises nachzuweisen versucht hatte, kam ich ins Grübeln. Konnte es sein, dass dieser Schluss tatsächlich gültig war? Fragend wandte ich mich an meine Mitstudierenden: Sie hatten dieselben Ergebnisse erhalten wie ich. Auch ihnen schien der Schluss und damit seine Konklusion, die ja in nichts Geringerem als der Existenz Gottes bestand, zwingend zu sein.
„Gott lässt sich nicht beweisen. Wer das bezweifelt, beweist vor allem eins: dass er nicht verstanden hat, worum es bei Gott überhaupt geht!“
Der Gottesbeweis hatte jedoch, trotz seiner unumstrittenen Schlüssigkeit, nicht die Wirkung, die man sich von einer solchen Entdeckung vielleicht erhoffen würde. Die Reaktionen meiner Kommilitonen bestanden nicht in Lobpreis, Glaubensbekenntnissen oder Übergabegebeten, sondern vielmehr in nüchtern abgeklärten Kommentaren: Der Schluss sei vielleicht logisch gültig, aus diesem Grund jedoch noch lange nicht überzeugend. Die Prämissen, aus denen die Existenz Gottes hergeleitet würde, seien kaum einfacher zu glauben als die Konklusion selber. Darum sei es nur schwer vorstellbar, dass aufgrund dieser Argumentation auch nur ein Mensch seinen Atheismus an den Nagel hängen würde. Solchen und ähnlichen Bedenken musste freilich auch ich nachgeben. Allgemeine Überzeugungskraft konnte dieser Beweis nicht beanspruchen. Seine Prämissen erschienen bei längerer Betrachtung auch mir höchst umstritten.
Trotz dieser berechtigten Kritik übt der Gottesbeweis der Logikhausaufgaben nach wie vor eine gewisse Faszination auf mich aus. Vielleicht ist er kein waschechter Gottesbeweis, trotzdem wird in ihm der Glaube an Gott auf eine Handvoll Prämissen zurückgeführt. Es werden Gründe angegeben und damit Plausibilitätsstrukturen des Gottesglaubens aufgezeigt. Das allein scheint mir ein Gewinn. Der Glaube wird durch einen solchen Schluss fassbarer, verständlicher, nicht bloss Postulat, kein unerklärbares Wunder oder eine Verirrung des Geistes, sondern eine Konklusion in einem Begründungszusammenhang. Habe ich in meinem Theologenkopf über die Studienjahre nicht Unmengen solcher Schlüsse gebildet, die meinen Glauben plausibilisierten? Klar auch diese meine ganz privaten Gottesbeweise haben kaum allgemeine Überzeugungskraft, beginnt doch zumindest einer von ihnen mit der Prämisse, dass es nicht die dümmste Idee sei, dasselbe zu glauben wie seine Eltern. Und doch überzeugen sie mich, sind sie die Gründe meines Glaubens. Und nicht nur das: Diese „Beweise“ können meinen Glauben auch für Mit- und Andersgläubige nachvollziehbar machen, ja vielleicht können sie in gewissen Fällen sogar überzeugen. Daraus, dass ein Schluss nicht für Jedermann überzeugend ist, folgt schliesslich noch lange nicht, dass er Niemanden überzeugen kann.
Wie wäre es also, wenn wir Theologinnen und Theologen unser Dogma der Unbeweisbarkeit Gottes nochmals überdenken würden? Es stimmt einfach nicht, dass sich Gott nicht beweisen lässt! Um das einzusehen braucht man keine Einführung in die formale Logik, ein flüchtiger Blick in die Philosophiegeschichte genügt. Von dort lässt sich m. E. auch lernen, dass die wirklich interessante Frage hinter den Gottesbeweisen nicht diejenige ist, ob sie möglich sind, sondern für wen sie möglich sind. Wäre es aus diesem Grund nicht angebracht als unseren neuen Konsens zu präzisieren, dass sich Gott zumindest nicht für jedermann nicht beweisen lässt? Oder vielleicht sogar etwas provokanter, dass wir uns nicht ganz sicher sind, für wen alles sich Gott am Ende nicht doch noch beweisen lassen wird?